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    Ausgerechnet: Stimmungspunkte

    • Autorenbild: gialloblu
      gialloblu
    • 11. Okt.
    • 7 Min. Lesezeit

    Aktualisiert: 17. Okt.

    In den Blogbeiträgen "Schattenparker national" vergebe ich pro Verein maximal 10 "Fanpunkte" als Bewertung des Stadionbesuchs aus der Perspektive des Zuschauers. Die 10 Fanpunkte unterteilen sich wie folgt: 4 Punkte gibt's für das Stadion, 4 Punkte für die Stimmung in diesem Stadion, 2 Punkte für die Anzahl der Tore in den letzten drei Saisons. Als (neutraler) Zuschauer würde man also 10 von 10 Punkten geben, wenn in einem tollen Stadion stimmungstechnisch die Hütte wackelt und auf beiden Seiten ordentlich Tore fallen.


    In diesem Beitrag versuche ich zu erklären, welchen möglichst objektiven Maßstab ich für Vereine von der 1. Bundesliga bis runter in die Regionalligen anwende, um 0 bis 4 Punkte für die Stimmung zu vergeben.


    Grob vereinfacht vergebe ich A) 2 von 4 Punkten für die geschätzte Anzahl der positiv Bekloppten bei Heimspielen eines Vereins, die übrigen 2 Punkte B) für den Anteil dieser positiv Bekloppten an der Gesamtkapazität des heimischen Stadions. Zum Abschluss C) gibt's noch einen Multiplikator für Sonstige Faktoren, der in der Regel zwischen 0,85 und 1,15 liegt, der weitere Dinge berücksichtigt, die ich für stimmungsrelevant halte. Für die Vereine mit den zu dem Zeitpunkt besten Werten (ab 3,50) wird in einer separaten Rechnung ermittelt, ob der Verein am Ende 3,5 oder sogar 4 Stimmungspunkte erhält.


    A) 2 von 4 Stimmungspunkten: die Anzahl der positiv Bekloppten bei Heimspielen


    Zunächst suche ich ein möglichst objektives Kriterium, um die Anzahl der Hardcore-Fans eines Vereins zu ermitteln. Kaum geeignet ist die durchschnittliche Zuschauerzahl bei Heimspielen: So hatten in der Saison 24/25 Hoffenheim und Hansa Rostock einen Zuschauerschnitt von ungefähr 25.000 - trotzdem wird niemand ernsthaft behaupten, dass Hoffenheim und Hansa gleichgroße oder vergleichbar leidenschaftliche Fanszenen haben. Wie also stattdessen die Anzahl der 'wahren' Fans eines Vereins ermitteln? Die Anzahl der verkauften Dauerkarten sagt ebenfalls wenig aus, da sie bei den meisten Vereinen gedeckelt ist. Gleiches gilt für die Anzahl der Vereinsmitglieder, da die Mitgliedsbeiträge in der Höhe zu unterschiedlich sind und bei einigen Vereinen die Mitgliedschaft Voraussetzung ist, um überhaupt eventuell mal an ein Ticket zu kommen.


    Als Grundlage zur Ermittlung der Anzahl der Hardcore-Fans nehme ich daher den Durchschnitt der Auswärtsfahrer (Quelle: Die falsche 9, fussballmafia) der letzten drei Saisons. Dabei unterstelle ich zwischen den Ligen einen Faktor von 1,3: Ein Verein, der durchschnittlich 1000 Auswärtsfahrer in Liga 3 hat, hätte dann (1000x1,3=) 1300 Auswärtsfahrer in Liga 2 bzw. (1300x1,3=) 1690 Auswärtsfahrer in Liga 1. Bei den ganz Großen, die auswärts stets ihr komplettes Kartenkontingent abrufen, orientiere ich ich an der Anzahl der mitgereisten Fans bei früheren Auswärtsspielen bei Hertha, wo häufig über den Gästeblock hinaus Karten von Gästefans gekauft werden. Um Vereine ligaübergreifend vergleichbar zu machen tue ich so, als würden alle Vereine in Liga zwei spielen: Die Auswärtsfahrerzahlen der Erstligisten werden daher um den Faktor 1,3 reduziert; die Zahlen der Dritt- und Regionalligisten um den Faktor 1,3 erhöht. Um die Anzahl der positiv Bekloppten bei Heimspielen zu ermitteln, multipliziere ich die Zahl der durchschnittlichen Auswärtsfahrer, bezogen auf Liga 2, mit dem Faktor 6.


    Beispiel: Hoffenheim brachte in den letzten drei Saisons im Schnitt (Liga 1) etwa 910 Auswärtsfans pro Spiel mit. Geteilt durch 1,3 entspräche dies 700 Auswärtsfans in Liga 2. Um auf die Anzahl der positiv Bekloppten bei Heimspielen zu kommen, multipliziere ich diese Zahl, siehe oben, mit dem Faktor 6. Hoffenheim käme bei Heimspielen also theoretisch auf (700x6=) 4.200 positiv Bekloppte. Zur Ermittlung der Punktezahl (maximal 2,0) teile ich diese Zahl durch meinen Richtwert für 1,0 Punkte, nämlich durch 12.000, so dass Hoffenheim auf rund 0,35 von 2 Punkten für die Anzahl der positiv Bekloppten kommt.


    Der FC Hansa hatte in den beiden Zweitligasaisons 2.900 bzw. 3.900 Auswärtsfans pro Spiel. 24/25, in Liga 3, waren es 2.400 Mitreisende, was - Faktor 1,3 - etwa 3.100 Fans in Liga 2 entsprechen würde. So käme Hansa über drei Saisons auf einen Auswärts-Schnitt von 3.300 in Liga 2, was einer Anzahl von theoretisch (3.300x6=) 19.800 'wahren' Fans bei Heimspielen entspricht. Auch diese Zahl teile ich durch meinen Richtwert von 12.000 für 1,0 Punkte, so dass Hansa bei 19.800 Fans pro Heimspiel auf 1,65 von 2 Punkten für die Anzahl der positiv Bekloppten kommt.


    B) weitere 2 von 4 Stimmungspunkten: Anteil der positiv Bekloppten an der Gesamtkapazität.

    Die Zahl der oben errechneten positiv Bekloppten setze ich nun ins Verhältnis zur Kapazität der heimischen Arena.

    Beispiel: In Hoffenheim würden sich auf (4.200 / 30.100) knapp 14% der Plätze Leute befinden, denen die Heimmannschaft irgendwas bedeutet. Die restlichen 86% der Plätze bevölkern - falls sie nicht leer bleiben - leidenschaftslose Schönwetterbesucher oder Gästefans. Bei Hansa würde theoretisch auf (19.800 / 29.000) knapp 68% der Plätze ordentlich Stimmung für die Heimelf herrschen.


    Um diese Werte auf maximal zwei Stimmungspunkte umzurechnen sind als nächstes zwei Rechnungen erforderlich: Zunächst ziehe ich die Quadratwurzel der ermittelten Werte (√0,14 bzw. √0,68), dann - um die Unterschiede abzufedern und auf einen Höchstwert von 2 zu kommen - ziehe ich erneut die Quadratwurzel und verdopple den Wert.

    Beispiel: Für Stimmung auf etwa 14% der Plätze kriegt Hoffenheim (√√0,1395...x2=) 1,22 von 2 Punkten. Für Stimmung auf etwa 68% der Plätze kriegt Hansa (√√0,6827...x2=) 1,82 von 2 Punkten.


    Obwohl beide Vereine in der vergangenen Saison also fast identische Zuschauerzahlen hatten, zeigt sich nun ein Unterschied: Aktuell stünde nach den obigen Rechnungen Hoffenheim bei (A0,35+B1,22=) 1,57 von 4 möglichen Stimmungspunkten; der FC Hansa bei (A1,65+B1,82=) 3,47 von 4 möglichen Stimmungspunkten.


    C) Sonstige Faktoren

    Folgende Faktoren können die Anzahl der Stimmungspunkte ein wenig runterziehen:

    • Kein Dach? Und obendrein eine Laufbahn? Befindet sich der Stimmungsblock hinter einer Laufbahn (z.B. Braunschweig, Hertha, Nürnberg) reduziert sich die Stimmung in meiner Berechnung um den Faktor 0,9. Der gleiche Faktor gilt, wenn der Fanblock nicht überdacht ist, so dass sich die Schallwellen der Begeisterung auch in die Wohnviertel von Giesing, Ulm oder Osnabrück verziehen.

    • Zu viel Erfolg in den vergangenen 15 Saisons. Ein 0:0 nach 60 Minuten gegen Augsburg kann Fans enttäuscht verstummen lassen, wenn sie noch halbwegs frische Erinnerungen an europäische oder nationale Titel haben. Angefangen bei Faktor 0,95 für zwei Titel (Frankfurt, Wolfsburg, RB) seit 2010, bis hin zum Faktor 0,8 für 12 Meisterschaften, 5 Pokalsiege und zwei mal Gewinner der Champions League im gleichen Zeitraum. Welcher Verein mag das wohl sein?

    • Großstadtattitüde. Egal, ob Bundes- oder (größere) Landeshauptstadt - wer dort wohnt, wo die wichtigsten Menschen, die elegantesten Geschäfte, das krasseste Nachtleben usw. anzutreffen sind, neigt gelegentlich zu Überheblichkeit. Deshalb gibt es den Faktor 0,95 für die traditionellen 'Vorzeigevereine' der größeren Millionenstädte (Hertha, HSV, FC Bayern). Den gleichen Faktor 0,95 gibt's für die Vereine aus Landeshauptstädten mit mehr als 500.000 Einwohnern (u.a. Düsseldorf, Hannover), ebenso für die Vereine aus küstennahen Hansestädten (u.a. Werder, Hansa), deren Bewohner im Rest des Landes halt als etwas spröde gelten.


    Folgender Faktor kann positiv oder negativ auf die Stimmungspunkte wirken:

    • Tradition. Eine fast schon religiöse Verehrung für den Verein wird man auf Schalke oder in Kaiserslautern öfters antreffen als in Elversberg oder in Heidenheim, deren Fans zur Jahrtausendwende noch in einen 9er-Bus passten. Es macht auch heute im Stadion einen Unterschied, ob es für alle Fan-Generationen im Leben nur einen Verein gab, oder ob die Zuschauer vor zehn Jahren noch vor der Glotze hockend zu Bayern oder Dortmund hielten. Vereine, die bereits in den 1950ern Massen in den Bann zogen (im Westen u.a. RWE und Frankfurt, im Osten Dresden und Aue) erhalten einen Bonus-Faktor von 1,1. Vereine der ersten Bundesliga-Jahre sowie die DDR-Fußballvereine von 1965-66 sind mit Faktor 1,05 dabei. Vereine wie Augsburg oder Wolfsburg, die in den 90ern oder 00er-Jahren fanmäßig aus ihrem Dornröschenschlaf erwachten, kriegen den Faktor 0,95; Vereine, die erstmals ab 2010 eine Fanbase aufbauten - Beispiele Hoffenheim und Heidenheim - haben den Faktor 0,9.


    Positive Faktoren:

    • Underdog-Mentalität. An vielen Orten verstehen Fans die Unterstützung für ihren Verein auch als Abgrenzung von 'denen da oben', von denen sie sich alltäglich gegängelt fühlen: Ossis von Wessis, Franken von Bayern, Badenser von Württembergern, Braunschweiger von der ehemals preußischen Provinz Hannover. Daher gibt's einen Bonus von 1,05 für Ostvereine und die drei großen Vereine aus Franken, Baden und dem Braunschweiger Land,

    • Randale-Meister. Wer brennt besonders für seinen Verein? Welche Fans lassen es am meisten krachen? Mein erneuter Dank gilt Der falschen 9 / fussballmafia für das Ranking der vom DFB verhängten Strafen, von denen ich die Top-12 der letzten vier Saisons berücksichtige. Frankfurt, Köln und die beiden HSVs räumen in dieser Kategorie (Faktoren bis 1,09) am meisten ab.

    • Wie, die können sogar halbwegs singen? In vielen Arenen von DY! NA! MO! bis EISERN! UNION! dominieren gemeinsam laut gebrüllte Schlachtrufe. Wenn man öfters im Osten und Norden unterwegs ist, können einen weiter westlich, am Rhein, der Klang von Melodien aus den Fankurven positiv überraschen. Erklärungsversuch: Wo von klein auf jedes Jahr Karnevalslieder gesungen werden, können die Menschen besser singen. Daher ein Bonus von 1,05 für die Vereine aus den großen Karnevalsstädten Mainz, Köln und Düsseldorf.


    Zurück zum Ausgangsbeispiel: Die TSG Hoffenheim kriegt aufgrund der sonstigen Faktoren den Multiplikator 0,9 (siehe Unterpunkt Tradition). Etwas komplexer ist die Situation beim FC Hansa, wo die Faktoren Hansestadt (0,95), Underdog-Mentalität Ost (1,05 - Stichwort 'Lauf Wessi lauf'), Generationen von Fans seit den 60er Jahren (1,05) und drei Platzierungen im vorderen Mittelfeld für pyrotechnische Vorführungen (1,03) miteinander multipliziert den Multiplikator 1,08 ergeben (alles auf zwei Stellen hinterm Komma gerundet).


    Für die TSG Hoffenheim ergeben sich [(0,35+1,22)x0,9=1,42] 1,5 von 4 möglichen Stimmungspunkte (Rundung vom Endergebnis auf ganze oder halbe Punkte). Bei Hansa [(1,65+1,82)x1,08=3,74] ist an dieser Stelle noch unklar, ob es am Ende 3,5 oder sogar 4 von 4 Stimmungspunkten sein werden, da für alle Vereine mit >3,5 Punkten gleich eine weitere Rechnung vorgenommen wird


    A

    B

    A+B

    C

    (A+B)xC

    Stimmungspunkte

    Hoffenheim

    0,35

    1,22

    1,57

    0,9

    1,42

    1,5 / 4

    FC Hansa

    1,65

    1,82

    3,47

    1,08

    3,74

    3,5 / 4

    Vereine, bei denen (A+B)xC >3,50 ist - aktuell betrifft dies immerhin 14 Vereine aus den Ligen 1 bis 3 - können sogar auf 4 von 4 Stimmungspunkten kommen. Ob es für die volle Punktzahl reicht, berechne ich nach der Formel [3,5 + 0,5 * Wert (Fanatismus Publikum) * Wert (aktuelle sportliche Situation)].


    In dieser Spitzenkategorie reichen die Werte für den Fanatismus des Publikums vom Tiefstwert 0,5 (bedeutet: laute Unterstützung aus großem Fanblock, regelmäßig ausverkauftes Haus, jedoch nur selten anfeuernde Fans auf der Tribüne) bis zum Höchstwert 1,0 (bedeutet: absolutes Irrenhaus). Hansa sehe ich auf dieser Skala bei 0,8.


    Der Wert für die sportliche Situation ergibt sich aus dem Vergleich der aktuellen Situation (Oktober 2025) mit der Situation der drei Saisons von Mitte 2022 bis Mitte 2025. Hier schneiden der 1.FC Köln und Pauli aktuell sehr gut ab (Multiplikator 1,0). Hansa, in Kellernähe von Liga 3, underperformt deutlich im Vergleich zu den Vorjahren (Multiplikator 0,1), so dass aktuell die Stadion-Stimmung für Hansa-Verhältnisse vermutlich weniger gut ist als in früheren Jahren.


    So ergibt sich für Hansa in dieser Saison folgende Punktzahl: 3,5 + 0,5x0,8x0,1 = 3,54 -> 3,5 Stimmungspunkte. Sollte Hansa nach Saisons der Drittklassigkeit jedoch wieder aufsteigen, wären im Aufstiegsjahr und nach Rückkehr in die Zweitklassigkeit 4 von 4 Stimmungspunkte recht wahrscheinlich.



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